Wenn im Gewebe Lücken entstehen
MedTALK: Edwin Vásquez Leyva, Oberarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie und Leiter des Hernienzentrums der GFO Kliniken Südwestfalen, spricht über die Möglichkeiten moderner Hernienchirurgie
In Deutschland gibt es jährlich rund 350.000 Hernien-Operationen. Die häufigste davon ist die Leistenbruch-Operation. Auch die GFO Kliniken Südwestfalen leisten ihren Beitrag zur Behandlung von Hernien. So erhielten die Kliniken im April 2024 von der Deutschen Herniengesellschaft das Siegel „Qualitätsgesicherte Hernienchirurgie“. Die GFO Kliniken Südwestfalen dürfen sich seit Frühjahr 2024 ganz offiziell Hernienzentrum nennen. Im Interview erklärt Edwin Vásquez Leyva, Oberarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie und Leiter des Hernienzentrums, unter anderem, wann Hernien operativ versorgt werden müssen und welche minimalinvasiven Möglichkeiten es in den GFO Kliniken Südwestfalen dafür gibt. Das Interview ist das dritte in der neuen, monatlichen Reihe „MedTalk“ der GFO Kliniken Südwestfalen. Hierbei informieren Ärztinnen und Ärzte über die vielfältigen Aspekte ihrer Fachrichtungen.
Welche Hernien gibt es überhaupt?
Es gibt viele verschiedene Hernien. Wenn man unten am Körper anfängt, sind das die beispielsweise Leistenhernien, weiter oben die primären Bauchwandhernien, wie beispielsweise die Nabelhernien. Dann gibt es die Narbenhernien, die nach einer offenen OP auftreten, und noch weiter oben die Zwerchfellhernien. Es gibt natürlich auch seltene Hernien. Nicht jede Hernie muss sofort operiert werden. Da gibt es verschiedene Faktoren und Klassifikationen in der Hernienchirurgie, die uns helfen, zu entscheiden, wie eine Hernie versorgt werden soll.
Warum ist es wichtig, Hernien operativ versorgen zu lassen?
Bei Frauen, die eine Leistenhernie - genauer gesagt eine Schenkelhernie - haben, sagen die Leitlinien der Europäischen Herniengesellschaft aktuell, dass sie immer operiert werden müssen, selbst wenn diese keine Beschwerden macht. Grund ist, dass die Anatomie von Frauen anders ist als von Männern. Frauen haben daher ein erhöhtes Risiko einer Einklemmung, wodurch es zu einer Notfall-OP kommen würde. Bei Männern ist es anders. Wenn die Hernie klein ist, noch keine Beschwerden macht und keine Vorwölbung sichtbar ist, kann man noch abwarten – aber immer mit dem Gedanken, dass es irgendwann zu Beschwerden kommen kann. Sobald eine Vorwölbung im Leistenbereich auftritt, sollte operiert werden. Wenn nicht, wird die Hernie irgendwann größer, bis sie sogar bis zum Hodensack reichen kann. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit der minimalinvasiven Chirurgie, wir bieten solche Eingriffe dann auch bei so großen Hernien an.
Was die Bauchwandhernien betrifft, muss eine Lücke, die kleiner als 1 Zentimeter ist, nicht sofort operiert werden. Das Einklemmungs-Risiko ist ziemlich niedrig. Wenn es aber Risikofaktoren gibt, wie Übergewicht oder hohe körperliche Belastung und weitere Grunderkrankungen, dann wird diese Hernie irgendwann größer. Wenn die Lücke und der Bruchsack so groß werden, können sogar Teile der Darmorgane im Bruchsack landen. Falls man dann zu lang wartet, die Hernie nicht entsprechend versorgt wird und es zu einer Einklemmung kommt, können sogar Teile vom Darm absterben. Bei einer Herniengröße von über 2 Zentimetern bieten wir ein Netz an. Bei geringerer Größe besprechen wir mit den Patienten, was sie wollen. Studien besagen, dass eine Lücke bis zu 2 Zentimeter primär zugenäht werden kann, wobei es ein Risiko gibt, dass es wieder aufbrechen kann. Dann spricht man von einem Rezidiv. Wenn Patienten sagen, dass sie viel körperlich tätig sind und viel belasten, empfehlen wir direkt die Versorgung mit einem Netz. Bei Frauen spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Die erste Frage ist, ob die Familienplanung schon abgeschlossen ist. Wenn nicht, empfehlen wir bei jungen Frauen die primäre Naht, also eine Versorgung ohne Netz.
Bei Narbenhernien ist das Gewebe schon entsprechend schwach. Diese Hernien sollte man operieren, weil sie sonst größer werden.
Bei den Zwerchfellhernien muss eine kleine Hernie nicht operiert werden, es sei denn, es liegt eine Begleitsymptomatik wie Reflux, bei der Magensäure in der Speiseröhre landet. Dann wird empfohlen, dass man diese Störung versorgt und die Hernie gleich mitversorgt. Hier arbeiten wir ganz eng mit unseren Kollegen der Gastroenterologie zusammen. Bei sehr großen Hernien landen Teile des Bauchbereichs im Brustkorb. Dann muss natürlich operiert werden.
Wie hat sich die Behandlung von Hernien in den vergangenen Jahren entwickelt?
Die Behandlung von Leistenhernien hat sich sehr positiv entwickelt, gerade, was die Verwendung von minimalinvasiven Verfahren (wie TAP, TEP oder eTEP) angeht. Mittlerweile ist es so, dass bundesweit über 80 Prozent der Fälle laparoskopisch versorgt werden. Natürlich gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel, wenn eine Hernie zuvor laparoskopisch versorgt wurde und dann ein Rezidiv auftritt. Dann bitten wir das offene Verfahren an.
Welche modernen Techniken und Technologien stehen im Hernienzentrum zur Behandlung von Patient:innen zu Verfügung?
Seit Dr. Fetcu im Oktober 2023 bei uns Chefarzt geworden ist, operieren wir zum größten Teil minimalinvasiv. Mit Unterstützung der Firma Livsmed haben wir die Möglichkeit mit artikulierbaren Instrumenten (ArtiSential) zu operieren. Mit den ArtiSential-Instrumenten erreicht man so quasi jede Ecke im Bauch. Wir operieren Nabelhernien zum größten Teil als eTep-Verfahren, bei diesem minimalinvasiven Verfahren liegt das Netz hinter den geraden Bauchmuskeln. Ein Vorteil davon ist, dass das Netz keinen Kontakt mit dem Bauchraum hat. Die Patienten bleiben drei bis vier Tage im Krankenhaus, fühlen sich aber teilweise schon am ersten postoperativen Tag so gut, dass sie fragen, wann sie nach Hause gehe können.
Wir haben im Oktober mit der Operations-Methode angefangen und die Tendenz steigt. Vier bis sechs Wochen nach der Entlassung bestellen wir die Patienten ein und schauen, wie sich das entwickelt. Über 96 Prozent von ihnen haben keine Beschwerden. Mithilfe der der neuartigen Instrumente können wir Eingriffe minimalinvasiv durchführen, bei denen wir es früher gar nicht für möglich gehalten hätten, es sei denn, man hat einen Roboter.
Bei der Zwerchfellhernien-Chirurgie arbeiten wir ebenfalls minimalinvasiv. Abhängig von der Größe der Hernie gibt es die Möglichkeit, diese ohne oder mit Netz zu versorgen.
Wie werden Patienten auf eine Hernienoperation vorbereitet?
Der Weg fängt beim Hausarzt an. Die Patienten kommen beispielsweise mit einer Schwellung oder Vorwölbung zum Hausarzt. Der Überweist die Patienten dann an uns. Dann werden die Patienten bei uns in der Sprechstunde vorgestellt. Wir haben montags eine Herniensprechstunde, bei Bedarf kann man natürlich auch mittwochs oder freitags kommen. Ich schaue mir die Patienten an. Wenn ich die Anamnese und die Vorgeschichte kenne, mache ich eine körperliche Untersuchung. Bei einer Narbenhernie beispielsweise, würden wir in Erfahrung bringen, was für OPs der Patient hatte, welche Medikamente man einnimmt. Bei Patienten, die älter als 50 Jahre sind, ist es wichtig, ob sie eine Darmspiegelung hatten. Es kann sein, dass wir operieren und hinterher stellt sich heraus, dass der Patient Darmkrebs hat. Das müssen wir ausschließen. Bei Rauchern bitten wir, wenn möglich, mindestens 6 Wochen nicht zu rauchen.
Bei Narbenhernien brauchen wir dann noch eine CT-Untersuchung. Dadurch können wir auch messen, wie groß die Bruchlücke ist und können abschätzen, ob wir einen laparoskopischen Eingriff machen können. Wenn die Bruchlücke besonders groß ist, können wir eine offene Operation anbieten. Das gleiche gilt bei Zwerchfellhernien. Auch die brauchen eine weitere Diagnostik mit einem CT. Die Termine für eine CT-Untersuchung in unserer Radiologie gibt es relativ schnell. Die Wartezeit beträgt maximal eine Woche, meistens können wir die Untersuchung aber bereits am Folgetag oder zwei Tage später anbieten.
Dann werden die Patienten nochmal einbestellt. Wir zeigen in der Sprechstunde, wie das Netz aussieht, das wir einbauen. Sie werden genau auf das vorbereitet, was auf sie zukommt und wie der Tag nach der OP abläuft.
Wenn der Patient keine Vorerkrankungen bzw. keine Blutverdünner einnimmt, bieten wir für die Leistenhernien eine ambulante Operation an. Die machen wir immer donnerstags. Dann kommt der Patient frühmorgens, wird vorbereitet, in den OP gebracht, operiert und geht nachmittags nach Hause.
Welche Schritte werden unternommen, um die Genesung nach der Operation zu beschleunigen?
Bei Leistenhernien haben die Patienten keinerlei einschränken, außer dem Verzicht auf Belastung. Nach einer Woche empfehle ich immer eine schmerzadaptierte Belastung. Früher sagte man: „Nach einer Woche 5 Kilo, dann 7 Kilo, dann 10 Kilo.“ Das halte ich aber für unrealistisch. Schmerzadaptiert heißt: Der Patient kann alles machen, der Körper meldet sich im Zweifelsfall. Wenn Schmerzen auftreten, muss man aufhören und die Belastung reduzieren. Das gilt ab der zweiten Woche, danach können die Patienten im Grunde wieder alles machen. 4 bis 6 Wochen nach der OP werden die Patienten wieder einbestellt, dann schaue ich mir das Ganze an, mache einen Ultraschall und wenn alles gut ist, können die Patienten die Belastung weiter steigern. Ähnliches gilt auch für die Narbenhernien, allerdings passe ich hier etwas mehr auf, weil die Wundfläche größer ist. Erfahrungsgemäß sammelt sich dort Flüssigkeit, sogenanntes Serom. Das muss man nicht operieren, aber kontrollieren. Bei der Zwerchfellhernie ist das auch ähnlich. Da müssen wir drauf achten, dass der Patient gut schlucken kann, dass die Magen-Darm-Tätigkeit normal abläuft.
Patienten, die eine Hernien-OP hatten, sollten merken, dass es von Tag zu Tag besser wird. Wenn die Schmerzen auf einmal schlimmer werden, oder die Wunde komisch aussieht, heißt es: „Nicht warten, einfach herkommen.“